Zwischen Journal und Roman, eine Hypertext-Performance

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In seinem Buch Schreiben Tag für Tag. Journal und Tagebuch. erläutert Christian Schärf unterschiedliche Formen des Tagebuchschreibens. Eine dieser besonderen Tagebucharten ist das Journal als Hypertext-Performance. Als Anschauungsbeispiel führt der Autor das Internetprojekt von Rainald Goetz auf.

Es handelt sich um ein Internetprojekt, das man heute wohl Blog nennen würde.

Dabei räumt er ein, dass dieses Projekt wohl romanartige Strukturen angenommen hat. Vielleicht war das Bloggen zur damaligen Zeit auch eher eine Seltenheit, als die zur Normalität gewordene Art eigene Gedanken und Eindrücke durch einen Blogbeitrag publik zu machen. Oder macht die Detailbesessenheit der Tagesdokumentation dieses Journal zur Hypertext-Performance?

In Rainald Goetz‘ „Abfall für alle“ wird die Grenze zwischen Tagebuch und Roman überschritten. Dabei bleibt die Ordnungsstruktur des Tagebuchs erhalten. Ja, die Chronologie wird von Goetz sogar mikroskopisch unterteilt, indem die verschiedenen Einträge des Tages mit der genauen Uhrzeit, also mit der vom Computer exakt angegebenen Zeit der Eintragung, gekennzeichnet sind. Goetz versucht ein Buch zu schreiben, das bis ins nebensächlichste Detail alles aufnehmen und enthalten soll, was dem Ich begegnet, was in seiner unmittelbaren Umgebung und in den Medien passiert.

Welche auch immer die Motive und die Ziele von Reinald Goetz für diese Art von Journal waren, er hat wohl ein Werk geschaffen, das Anlass zum Nachdenken gibt. Insbesondere, nach den Ausführungen von Christian Schärf habe ich mir meine eigene Meinung gebildet.

Dem Ich begegnet vor allem das Ich; die eigenen Gedanken und Eindrücke. Zumindest zu der Zeit, in der man nachdenkt und verarbeitet, ist es nicht möglich sich auf die Aussenwelt zu konzentrieren. Auch die Zeit des Aufschreibens erfordert Aufmerksamkeit. Man fokussiert auf das, was man wiedergibt und wie man es formuliert. Das Leben geht jedoch zu dieser Zeit weiter. Und genau zu dieser Zeit entgeht es dem Beobachter. Oder ist es dann vielleicht irrelevant und nicht dokumentationswürdig! Der Protagonist ist ja in diesem Moment des Tagebuchführens sein eigenes Ich. Autor und Ichbeobachter zugleich. Der Autor widmet seinem Ich seine ganze Aufmerksamkeit. Was würde in so einem Augenblick mehr Zeit in Anspruch nehmen, die Welt, die beeindruckt, zu beobachten oder diese Eindrücke zu prozessieren, um sie wiederzugeben? Für mich ist diese Antwort ganz klar, denn es erfordert einen Augenblick, um beeindruckt zu werden, aber diesen Eindruck erst für sich selber, in Gedankenreflexion dem eigenen Ich und dann dem Leser begreifbar oder verständlich zu machen, das erfodert wohl einiges an Zeit. Eine Zeit in der die Aufmerksamkeit beansprucht wird und das Beobachten pausiert. Diese Journalpause nimmt wahrscheinlich mehr als einige Sekunden in Anspruch. So kann die Tagesdokumentation keine lückenlose sein, sondern eine, in der die Aufmerksamkeit frei zur Verfügung steht. Es wird zu einer Dokumtation von bestimmten Ereignissen, die Ihren Eindruck auf das bewusste Ich hinterlassen und der inneren Bearbeitung, die sie anschließend durchlaufen.

… Denn auch Goetz muss auswählen aus allem, um überhaupt zu einem Ausdruck, zu einer Inszenierung seines Experiments zu gelangen. Was wie der wildwüchsige Textausstoß nur noch vom chronologischen Nacheinander zusammengehaltener Sprachanfälle erscheint, …

Letztendlich war das Projekt, wie Christian Schärf schreibt, eine Performance. Ein Experiment aus chronologisch zusammengefügten Textfragmenten.

Das Buch von Christian Schärf ist erschienen im Dudenverlag. Herausgeber war Hanns-Josef Ortheil.

 

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