Wir, ein dystopischer Zukunftsroman, spielt in einer Welt, in der alle Menschen auf Nummern reduziert sind. Nach einem genau kalkulierten Rezept bestreiten in diesem totalitären Regime die „Nummern“ Ihren Lebensalltag. Der Leser erfährt im Tagebuchstil aus Sicht eines begeisterten Anhängers des Regimes, dem Mathermatiker D-503, Stück für Stück wie streng reglementiert alles in seinen geordneten Bahnen verläuft. Bis zur Schlafenszeit wird Handeln und sogar Denken vorgeschrieben, wobei man sich die meiste Zeit unter Beobachtung befindet. Befremdlich ist dabei wie genussvoll der Protagonist davon berichtet. Die Lobeshymnen auf die strengen Vorschriften füllen Seiten und die Handlung des Buches ist im Vergleich zu den detailverliebten Gedanken und Beschreibungen fast nebensächlich. Selbst noch so triste und sogar gräulhafte Begebenheiten, wie die zelebrierte Hinrichtung mit Blumenmädchen, Gedichtrezitationen und die Zerlegung in atomare Einzelteile, werden vom Protagonisten freudig in aller Länge geschildert. Die Sympathie für den sogenannten Haupthelden hält sich damit in Grenzen. Merkwürdigerweise hält sich die Anthipathie genauso in Grenzen. Stattdessen verflacht das Mitgefühl durch die ständig wiederkehrenden und ausfürlichen Lobesreden und die blumigen Erklärungen über die Vorzüge des Regimes. Aber auch die Zerissenheit der Erzählung, die ähnlich sprunghaft wie Gedanken niedergeschrieben wurden, tragen dazu bei. Statt erschaudern fühlt man Gleichgültigkeit. Die erzählerischen Ergüsse begrenzen sich nicht auf das Regime allein. Im Verlauf des Buches fokussiert der Protagonist zunehmend auf etwaige mehr oder weniger gefühlvolle Liebesbeziehungen, die nicht nur ihn selber, sondern auch den Leser verwirren. Von der Vollkomenheit des Einheitsstaates und der Glückseeligkeit mit seiner geordeten Lebensweise, widmet sich der Autor des Tagebuches überschwänglichen Beschreibungen, die durch seine romantischen und weniger romantischen Beziehungen entstehen. Zwischen den Zeilen muss der Leser den Bruchteil der Handlung mühselig selber zusammenpuzzeln. Dies führt dazu, dass das Schicksal der Personen, die den zusammengeklaubten Fragmenten nach, für die Geschichte eine Rolle spielen, den Leser genausowenig berühren, weder positiv noch negativ.
Man kann sich die Frage stellen, ob möglicherweise durch die Übersetzung einiges an Gefühl verloren gegangen ist, um die Geschichte auch emotional nachvollziehen zu können.
Das Science Fiction Buch Wir des Autors Jewgeni Samjatin wurde im Kiepenheuer Verlag veröffentlicht.
Deine Gedanken zu diesem Thema