Nachdem Aristoteles im zweiten Buch seiner Nikomachischen Ethik aufgezeigt hat, dass Tugenden Eigenschaften sind, erklärt er als nächstes, um was für Eigenschaften es sich bei den Tugenden handelt.
Angemessene Reaktion
Aristoteles kommt zu dem Schluss, das Tugenden die Eigenschaften sind, welche Reaktionen des Mittelmaßes zwischen „Übermaß und Mangel“ an Reaktion beschreiben. Und zwar das subjektive und auch kontextbezogene Mittelmaß, wie es jedem Selbst innewohnt, d.h., die Mitte zwischen was zu viel und zu wenig für den Einzelnen ist, nicht auf eine allgemeine, objektive Mitte zwischen Übermaß und Mangel bezogen.
Dazu listet Aristoteles eine ganze Reihe von Affekten und Handlungen auf und welche Eigenschaften die dazugehörige jeweilige Mitte, das Übermaß und den Mangel beschreibt.
Bei Furcht und Mut ist die Tapferkeit die Mitte. … wer dagegen ein Übermaß an Mut besitzt, ist tollkühn, wer ein Übermaß an Furcht und einen Mangel an Mut hat, ist feige.
Bei Lust und Unlust – freilich nicht in jedem Fall und weniger bei der Unlust – ist die Mäßigung die Mitte, die Zügellosigkeit das Übermaß. Menschen mit einen Mangel an Lust … , man mag sie einfach stumpfsinnig nennen.
Problem der Mitte und Lösung
Es gibt im Bezug auf die Mitte mehrere Probleme, die Aristoteles benennt:
- Mangel und Übermaß sind leichter zu finden als die Mitte
- Wenn man selber im Extremen des Mangels oder Übermaßes agiert, erkennt man die Mitte schwer, z.B.:
Denn der Tapfere erscheint gegenüber dem Feigen tollkühn, gegenüber dem Tollkühnen aber feige.
Ebenso ist der Besonnene im Vergleich zum Stumpfsinnigen zügellos, im Vergleich zum Zügellosen aber stumpfsinnig…
- Die Mitte ist manchmal ähnlicher mit einer Seite der Extremen, Mangel oder Übermaß, z.B.,
So ist … zur Tapferkeit nicht die Tollkühnheit, die ja ein Übermaß ist, der größte Gegensatz, sondern die Feigheit …
- Wir tendieren eine Richtung lieber einzuschlagen, die uns fälschlich weniger extrem erscheint als ihre gegenteilige Richtung.
Als Lösung gibt Aristoteles an, dass man sich zuerst
- durch Selbstreflektion und Selbsterkenntnis klar wird, in welche Richtung man tendiert zu reagieren
- und anschließend, eher in das Gegenteil davon abweicht, um die Mitte zu finden.
Allerdings warnt Aristoteles bei dieser Art der Selbstreflektion auch
… vor dem Angenehmen und vor der Lust…; denn sie beurteilen wir nicht unbefangen.
und er gibt zu, dass es ein schwieriger Prozess ist, die kontextbezogene, richtige Reaktion, im Mittelmaß, zu treffen.
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